Schreiben & Lektorieren – Teil 4: Sprache

Die Magie des Schreibens: Jemand ersinnt Personen, ihr Leben und ihr Schicksal. Irgendwann, irgendwo, begegnet ein völlig Fremder diesen Personen und nimmt Anteil an ihren Erlebnissen. Autor und Leser begegnen sich meistens nie, sprechen nie ein Wort miteinander … und trotzdem verbindet beide das selbe Bild, das sie vor Augen haben – dieselbe Geschichte. Und diese unsichtbare Verbindung entsteht durch nichts anderes als Worte. Mit ihrer Sprache erwecken Autoren Welten zum Leben, und an ihr liegt es, ob der Leser in eine fiktive Welt gezogen oder davon ausgeschlossen wird.

Lesbarkeit

Auch wenn es uncool ist, auf korrekte Schreibweisen zu pochen: Die beste Idee nützt niemandem, wenn sie schlicht und einfach nicht verstanden werden kann. Korrekte Rechtschreibung, Interpunktion und lesbare Sätze liegen in der Verantwortung des Autors, denn auch ein Lektor kann nicht weiterhelfen, wenn er nicht weiß, in welche Richtung er korrigieren soll. Gerade fehlende oder falsch gesetzte Beistriche können einem Text eine völlig andere Bedeutung geben. Beispiel: “Er will, sie nicht.” – “Er will sie nicht.”

Dieser Blog soll aber keineswegs eine Aufzählung von Rechtschreib- und Grammatikregeln werden. Hierfür gibt es weit geeignetere Werke direkt von Duden, zu Beispiel den Crashkurs Rechtschreibung. Ob Rechtschreib-Profi oder nicht, eine Empfehlung möchte ich noch ans Herz legen: Die Stilfibel von Ludwig Reiners ist zwar harter Tobak, aber darin findet sich für jeden etwas. Und nicht zu vergessen natürlich die Rechtschreibprüfung. Papyrus hat eine besonders gute Duden-Einbindung, aber auch die Word-Überprüfung ist besser als nichts. Und wer gar nicht weiter weiß: Auf www.duden.de kann man kurze Textpassagen zur Überprüfung eingeben.

Ein weiterer häufiger Stolperstein sind zu lange oder zerstückelte Sätze, weil sie schwer zu erfassen sind. Typische Prosa-Leser wollen heutzutage einen Text genießen, und ihn nicht erarbeiten müssen. Das Ziel ist nicht, möglichst komplexe Satzstrukturen zu verschachteln und dieses Gebilde seitenlang fortzusetzen. Prinzipiell gilt: Ein abwechslungsreiches und sinnvolles Gefüge aus kürzeren und längeren Sätzen wirkt harmonisch und ist gut lesbar, Satzteile sollten so einheitlich wie möglich gehalten werden.

Beispiel: “Thomas ging, wie jeden Sonntag, seit er fünf Jahre alt war, in die Eisdiele, denn damals war er in diese Nachbarschaft gezogen, und er hatte eine Vorliebe für Eis.” Oder: “Seit er fünf Jahre alt und in diese Nachbarschaft gezogen war, ging Thomas jeden Sonntag in die Eisdiele, denn er hatte eine Vorliebe für Eis.”

Ebenso mühsam ist es für den Leser, wenn der Autor zwar gerade Sätze schreibt, aber diese scheinbar völlig willkürlich aneinander ordnet. Der Charakter hüpft von einem Gedanken zum nächsten und gleich darauf zum ersten zurück oder zu etwas, das absolut unvorhersehbar und entsprechend nicht nachvollziehbar ist. (Ich kenne einige Leute, die das auch beim Reden so machen, Anm.d.A.) Beim Schreiben lässt sich das oft nicht verhindern, Gedankengänge sind eben sprunghaft. Damit der Leser einen roten Faden hat, sollte beim Korrekturlesen aber alles in eine Reihenfolge gebracht werden. 

Der richtige Ton

Oft fällt es erstaunlich schwer, auf Anhieb den richtigen Ton zu treffen. Einerseits soll die gewählte Sprache die Stimmung des Textes unterstreichen – ein Fantasy-Epos erfordert einen anderen Schreibstil als ein Thriller, und klug will man natürlich auch wirken dabei.

In dem Eifer, möglichst kompetent und sprachgewandt zu erscheinen, machen Schreibneulinge aber oft den Fehler, zu sehr nach ausgefallenen Worten und Formulierungen zu suchen. Diese sind an sich ja nichts Schlechtes! Richtig eingestreut können sie einem Text das richtige Etwas verleihen. Zu häufig und falsch gesetzt wirken sie leider nur bemüht und sind Stolpersteine im Lesefluss. Schlimmstenfalls werfen sie den Leser sogar völlig aus der Szene, weil sie einfach ein falsches Bild zeichnen. Beispiel: In einer stimmungsvollen Szeneriebeschreibung eines Lagerfeuers unterm Sternenhimmel darf das Feuer ruhig eine goldene Aureole haben. In einer Kampfszene, in der zufällig irgendwo eine Fackel an der Wand hängt, ist so eine Beschreibung fehl am Platz.

Eine weitere Schwierigkeit sind Dialoge. Viel zu oft landet der bemühte Tonfall auch hier, aber gerade im Dialog wirkt es extrem unnatürlich. Im Text darf man sich austoben, im Dialog sollte man der Sprache und den Charakteren treu bleiben. Niemand würde sagen: “Liebes Eheweib, welch köstliche Mahlzeit bereitest du heute zu?” Meistens lautet der Satz im Alltag eher: “Schatz, was gibt’s zum Essen?” Es sollten natürlich die Hintergründe der Charaktere aufgegriffen werden. Wenn es für eure Figur passt, könnt ihr ihm natürlich alles in den Mund legen – vielleicht übt er ja gerade für ein Shakespeare-Stück?

Für den Leser sollten eure Dialoge vor allem nachvollziehbar und flüssig sein. Wenn ihr euch unsicher seid, nehmt euch nur die Dialogsätze her (Papyrus bietet dafür eine nette Funktion, aber Copy & Paste tut’s auch) und lest sie laut vor. So merkt ihr recht bald, wo es nicht ganz rund klingt.

(Achtung: Eine Ausnahme sind historische Romane, die ein sehr spezielles Publikum ansprechen und nicht nur ausschweifend sein dürfen, sondern sogar sollen. Auch die Vorgaben für Umfang und Struktur eines Manuskripts sind hier völlig anders als in anderen Bereichen. Da ich mich persönlich relativ wenig mit dieser Sparte beschäftige, beschreibe ich hier nur normale Prosatexte.) 

Das richtige Wort

Mit euren Worten erzeugt ihr Bilder in den Köpfen der Leser. Mit diesen Bildern könnt, müsst und wollt ihr arbeiten, und das richtige Wort erspart euch viel uninteressante Erklärung. Je präziser euer Wort ist, desto treffender ist das Bild. Synonyme sind natürlich wünschenswert, es sollte jedoch immer die genaue Bezeichnung zuerst erfolgen. Beispiel: “Er öffnete die Truhe. Die Scharniere quietschten.” Wie groß ist die Truhe für euch? Und wie sieht sie im Vergleich dazu bei diesem Satz aus: “Er öffnete die Schatulle. Die Scharniere der Truhe quietschten.”

Viele unpassende Begriffe haben sich durch die häufige Verwendung so sehr eingebürgert, dass kaum noch über ihren eigentlichen Sinn nachgedacht wird. In meinen eigenen Texten streiche ich zur Zeit gerade rigoros das Wort “erklärte”. So ein schönes Synonym für “sagte” … dachte ich jedenfalls. Mittlerweile sehe ich die sprechende Figur immer mit einem Stab auf eine Tafel klopfen und eben erklären. Selbiges gilt für das sogenannte Bestiarium. Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass Protagonisten stöhnen, zischen, fauchen, brüllen … Manches Mal kann das durchaus angebracht sein. Wenn mir ein Kasten auf den Zeh kracht, stöhne ich auch – aber daraus wird garantiert kein dreizeiliger Monolog. Ich hab einen Kasten am Zeh!

Für große Erheiterung unter meinen Schreibkollegen sorgen immer wieder schräge Bilder. Wortkreationen, die einfach völlig anders interpretiert werden (können), als sie beabsichtigt wurden. Seien das nun Augen, die herausfallen oder Blitze verschießen, oder Lungen, die nach Luft schreien … Irgendwann einmal hätten sie vermutlich Metaphern werden sollen, aber ganz geglückt sind sie eben nicht. Beispiel: “Die Zeit kroch dahin” ist eine Metapher. “Er kroch dahin” ist eine Handlung … und nur zutreffend, wenn er sich wirklich auf dem Bauch kriechend fortbewegt und nicht, wenn er sich bloß extrem langsam bewegt.

So wie das Gehirn keine Negationen kennt (“Denk nicht an ein Glas Milch!”) nimmt es auch erst einmal das Bild wahr, das ihm präsentiert wird (das eines kriechenden Mannes). Wenn dieses Bild falsch ist und nur ein Vergleich hätte werden sollen, der missglückt ist, muss sich der Leser erst einmal wieder davon abbringen. Wozu sollte man ihn erst in die falsche Richtung schicken, um ihn dann mühsam zurückzuholen, wenn man ihn gleich in die richtige dirigieren kann?

Die richtige Art

So und jetzt zum spaßigen Teil. Es gibt schließlich nicht nur Dinge, die man vermeiden muss, sondern auch solche, die man bewusst einsetzen kann, um dem Leser unabhängig von den benutzten Worten etwas spüren zu lassen.

Eines davon ist das Tempo bzw. die Intensität einer Szene. Kurze, abgehackte Sätze oder Beistrich-Satzkonstruktionen (“Er stolperte, fiel hin.”) vermitteln ein Gefühl von Dringlichkeit und sind besonders für Actionszenen oder Szenen mit viel aktiver Handlung geeignet. Der Stolpernde ist hier sicher nicht einfach nur beim abendlichen Spaziergang auf die Nase gefallen.
Ausladende Beschreibungen können dagegen genutzt werden, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen und dem Leser eine Atempause zu gönnen. Wenn sich der Autor die Zeit nimmt, die schimmernde Regenpfütze zu beschreiben, in der sich das warme Leuchten der Straßenlaternen spiegelt, wird sich auch beim Leser eine entspannte Haltung einstellen.

Ebenso beeinflussend ist die Aktivität des Geschriebenen. Normalerweise sollten Texte möglichst aktiv formuliert sein, denn die Handlung zieht den Leser in die Perspektive der agierenden Figur und so näher an diesen Charakter. Wenn jedoch der Protagonist nicht als Handelnder, sondern als Erleidender auftritt, kann das durch die passive Schreibweise verdeutlicht werden. Beispiel: “Hans wurde ausgelacht.” bringt uns in die Perspektive von Hans, “Lucy lachte Hans aus.” in die von Lucy.
Ob der Satz aktiv oder passiv formuliert wird, sagt auch viel über die Absicht und Bewusstheit der Tat aus. “Peter unterbrach seine Arbeit, als er niesen musste.” Peter ist zwar der Handelnde, aber eine Absicht liegt da garantiert nicht dahinter. Besser ist daher: “Peters Arbeit wurde unterbrochen, als er niesen musste.”

Besonders in Dialogen geschieht zusätzlich viel über die Interpunktion. Welches Zeichen euren Satz beendet, entscheidet, wie er aufzufassen ist. Kürzestes Beispiel aller Zeiten: “Oh! Oh? Oh.”

Unnützes weglassen

“Show, don’t tell” ist eine der wichtigsten Regeln beim Schreiben. Indem man aufmerksam wird auf die Dinge, die eigentlich unnütz sind, wenn der Rest richtig geschrieben ist, merkt man auch, was unbedingt rein sollte – nämlich die Beschreibung!

Was mein Rotstift neben Füllwörtern eifrig eliminiert, sind Zeitangaben, egal in welcher Form. Beispiel: “Während Paul aus dem Fenster sah, begannen die ersten Regentropfen zu fallen, dann war der Boden matschig.” lässt sich wunderbar zusammenkürzen: “Durch das Fenster sah Paul, wie die ersten Regentropfen den Boden in Matsch verwandelten.”

Beginnen und können werden generell gerne absolut überflüssig eingesetzt. “Laura konnte den Knall hören.” Wenn es ihr nicht eigentlich unmöglich sein sollte (beispielsweise, wenn sie in einem schalldichten Raum sitzt), ist “können” redundant. Es gibt nichts, das uns an ihrer Fähigkeit zu hören zweifeln lässt. Und falls wir uns ohnehin in Lauras Perspektive befinden, reicht ein “Es knallte.” vollkommen aus.

Versteht mich nicht falsch: Alle Wörter haben ihre Berechtigung, sonst gäbe es sie nicht. Solange man sie bewusst setzt und genau den Effekt erzielen möchte, den sie bewirken, sind sie perfekt und sollen unbedingt eingesetzt werden.

Das Gleiche gilt für Vergleiche: Sie können die schönste Stimmung zaubern. Meistens dienen sie aber unbewusst nur dazu, wenig durchdachte Infos in die Gegend zu streuen und ihnen einen Halt zu geben. Statt “In dem Burgzimmer zog es wie Hechtsuppe.”, das erstens ein Klischee und zweitens vermutlich unpassend ist (wer weiß, ob die Burgherren Hechtsuppe kennen), könnte viel besser beschrieben werden: “Das Burgzimmer war so heruntergekommen, dass der Wind durch den bröckeligen Mörtel und die verzogenen Fenster pfiff.” Und schon hat man auch noch mehr Informationen hineingepackt zum ganzen Rundherum, etwa über den Grund, weshalb es zieht.

Eine nette Liste der Undinge gibt es übrigens hier.

Zu guter Letzt kommt das radikalste Streichen: Kill your darlings. Jede Szene, die nur dazu da ist, um Seiten zu füllen, die keine neuen Einsichten bringt, keine Stimmung verdeutlicht oder die Geschichte vorantreibt, ist ein potentielles Mordopfer des Lektors. Ihr selbst solltet den Rotstift bereits zücken, wenn ihr Sätze oder Absätze entdeckt, die von der aktuellen Handlung ablenken. “Kain erhob seine Keule. Drei Bäume weiter zwitscherten Vögel munter vor sich hin. Er ließ sie auf Abels Kopf heruntersausen.” Der markierte Satz hat nicht nur absolut nichts mit der Handlung zu tun, er behindert auch den Lesefluss, indem wir nicht mehr wissen, ob mit “sie” nun die Keule oder die Vögel gemeint sind. Also raus damit!

Tipps zum Schluss

Schreiben ist immer experimentieren. Mit der eigenen Fantasie, dem eigenen Wortschatz, mit der Reaktion der Leser. Die Tipps hier sind nicht in Stein gemeißelt, sie sind eben nur das: Tipps. Dinge, die sich bewährt haben, aus Leser- und Schreibersicht. Alle Schreibratgeber können nur Leitfäden sein, an denen man sich anhalten kann, bis man die Regeln für gutes Schreiben beherrscht. Und dann, wenn ihr verstanden habt, wie sie funktionieren und warum: Brecht alle Regeln.

Viel Spaß!