Ich versuche ja schon länger, aus den Story Cubes einmal eine für mich typische Geschichte herauszubekommen. Aber bei den lustigen Bildchen und der Regel, die Geschichte mit “es war einmal” zu beginnen, gingen bisher alle Versuche in eine völlig andere Richtung. Nachdem mir das mittlerweile schon den Vorschlag eingebracht hat, ich sollte doch auch Kindergeschichten schreiben, hat die Sache nun ein Ende! Speziell für Halloween heute eine Geschichte mit der Clues-Erweiterung. Seid gewarnt – es ist keine Kindergeschichte.
Es war Nacht. Der Mond spiegelte sich bleich und rund im schmutzigen Wasser des Brunnens. Der Anblick ließ Lucy frösteln, obwohl es für die letzte Nacht im Oktober erstaunlich warm war. Aber mit einem Mal schien ihr die Idee eines Blind Dates überhaupt nicht mehr reizvoll. Ganz im Gegenteil. Die dunklen Silhouetten der Bäume, die den Park tagsüber so freundlich wirken ließen, rückten bedrohlich immer näher. Oder war es nur ihre Einbildung?
Was es auch war, es jagte ihr Schauer über den Rücken. Und einmal ehrlich: Welcher Typ vereinbart denn einen unbeleuchteten Park als Treffpunkt? Wir treffen uns am alten Brunnen. Du wirst mich schon erkennen.
Wenn er sich endlich zeigen würde, dann würde sie ihn wohl erkennen – abgesehen von ihr war der Park nämlich menschenleer. Sie warf einen Blick auf die Uhr ihres Handys und ihr Unbehagen begann, sich in Wut zu verwandeln. Schon zehn Minuten zu spät. Der konnte sich auf was gefasst machen.
Plötzlich war da ein Rascheln. Lucy fuhr herum, konnte aber in dem düsteren Zwielicht niemanden erkennen. Bäume, Parkbänke, Werbeschilder … Wer konnte schon sagen, ob sich zwischen all den Schatten nicht auch ein Mann verborgen hielt?
„Hallo?“, rief sie mit zitternder Stimme. „SuperHandsome?“
Sie kam sich einen Augenblick lang unglaublich dumm vor. Dann dämmerte ihr, dass sich lächerlich zu machen nicht die einzige Gefahr war, der sie sich gerade aussetzte. Sie stand hier allein unter der einzigen Laterne in einem verlassenen Park, während da draußen in der Dunkelheit jemand herumschlich … und raschelte.
Wie blöd konnte man sein? Sie hatte sich direkt am Brunnen platziert, damit ihr Date sie auf jeden Fall finden würde. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie sich damit direkt auf den Präsentierteller gelegt hatte wie ein Stück Fleisch. Leicht zu finden, klar – für jeden Perversen, der sich nachts in Parks auf die Lauer legte. Und womöglich naive Frauen übers Internet direkt zu sich bestellte, wie andere sich eine Pizza ins Haus liefern ließen.
Wieder ertönte ein Rascheln. Diesmal aus der anderen Richtung. Lucy zögerte nicht länger und ergriff die Flucht. „Ich mag doch sowieso keine Blonden“, suchte sie noch im Laufen nach einer Ausrede für ihre eigene Feigheit. Langsamer wurde sie trotzdem nicht.
Je näher der Ausgang des Parks rückte, umso mehr Bedenken kamen ihr. Wenn die Straßen ebenfalls verlassen waren, würde sie dort keinen Schutz finden. Die Zeit der allgegenwärtigen Telefonzellen war vorbei, und mit dem Handy einfach mitten im Nirgendwo stehen zu bleiben und auf Hilfe zu warten, kam nicht infrage. Am besten war, sie versteckte sich irgendwo und rief die Polizei. Nur wo?
Ihr suchender Blick fiel auf ein kleines, unscheinbares Gebäude: das Aquarium. Ein paar depressive Fische schwammen dort in traurigen Tanks herum, um den Kindern die Natur näherzubringen. Nicht, dass die sich jemals dort hinein verirrt hätten. Teenager mit geklauten Bierflaschen und Zigaretten fanden den Ort viel interessanter, vor allem aufgrund einer einfachen Tatsache: Das Aquarium besaß eine Tür.
Und auf die steuerte Lucy zu, quer über den Rasen. Ihre hochhackigen Schuhe rutschten auf den nassen Blättern immer wieder unter ihr weg. Ein paar Mal wäre sie fast gestürzt, doch sie fing sich zum Glück immer schnell genug, um nicht vollends im Gras zu landen. Warum hatte sie sich auch so aufdonnern müssen?
Hinter sich hörte sie erneut ein Rascheln. Gefolgt von einem rasselnden Keuchen. Wider besseres Wissen drehte sie sich um, ohne stehen zu bleiben. Und stürzte.
Hastig rappelte sie sich wieder auf. Sie ignorierte das Brennen in ihren aufgeschürften Handflächen und das leichte Stechen in ihrem Knöchel, denn die eine Sekunde, in der sie hinter sich geschaut hatte, war genug gewesen, um ihr eine beinahe schon toxische Menge an Adrenalin ins Blut zu pumpen. Lucy wurde von einem riesigen, unförmigen Schatten verfolgt – und seine Augen glühten rot.
Stolpernd überquerte sie die letzten Meter der Wiese. Ihr eigener Atem rasselte in ihrer Kehle, doch das reichte bei Weitem nicht, um das Keuchen ihres Verfolgers zu übertönen. Schwindelig vor Angst und Sauerstoffmangel fiel sie gegen die Tür des Aquariums. Fast in Sicherheit. Sie musste nur noch … Lucy stieß ein verzweifeltes Quietschen aus und rüttelte am Türknauf. Vergebens. Das Aquarium war abgesperrt.
Das Aquarium war nie abgesperrt! Wer zum Teufel sperrt ein Aquarium ab?! Schluchzend lehnte sie die Stirn an das kühle Metall und wäre fast erneut zu Boden gegangen, als die Tür unvermittelt doch aufschwang. Hatte sie den Knauf in die falsche Richtung gedreht? Sie konnte sich nicht erinnern. Aber was machte es für einen Unterschied? Hauptsache, sie war drinnen!
Sobald sie die Tür geschlossen hatte, fand sie sich in absoluter Dunkelheit wieder. Das blaue Leuchten, das normalerweise von den Fischtanks ausging, fehlte. Hielten Fische Winterschlaf? Irgendwann hatte sie das sicher einmal in der Schule gelernt. Vor einer halben Ewigkeit.
In diesem Moment krachte etwas von außen gegen die Tür, gegen die sie notdürftig ihren Rücken stemmte. Das Metall schob sie ein paar Zentimeter weit nach innen, ehe es wieder ins Schloss fiel.
„Oh Gott“, stöhnte Lucy.
Mit plötzlich klamm gewordenen Fingern fummelte sie in ihrer Handtasche herum. Sie bekam das Handy in der gleichen Sekunde zu fassen, als die Tür zum zweiten Mal erbebte. Mittlerweile war sie zu einem ununterbrochenen Wimmern übergegangen. Sie versuchte verzweifelt, die Tastensperre aufzuheben, aber ihre Hände zitterten zu sehr, um die richtige Bewegung auf dem Display fertigzubringen.
Die Tür krachte erneut und der Stoß schob ihren Finger durch Zufall in den grünen Notruf-Bereich, von dem sie ganz vergessen hatte, dass er überhaupt existierte. Ein einzelnes, trockenes Lachen entfuhr ihr – und erstarb, als ein einsames Tuten verkündete, dass sie keinen Empfang hatte. Das Aquarium schirmte sie vom Funknetz ab. Wenn sie telefonieren wollte, musste sie dazu nach draußen, wo der Schatten auf sie wartete …
Erst da wurde ihr bewusst, dass die Angriffe auf die Tür aufgehört hatten. Hatte er aufgegeben? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Aber was sollte sie jetzt machen?
Schlüssel suchen!, gab sie sich selbst die Antwort.
Und wenn sich die Tür nicht abschließen ließ, fand sie vielleicht etwas, um sie zu verbarrikadieren. Entschlossen aktivierte sie die Taschenlampe ihres Mobiltelefons. Der Lichtstrahl tastete über den Boden, beleuchtete zerbrochenes Glas und erstickte Fische. Und noch etwas anderes: Blut. Der ganze Fußboden war voll davon.
Lucy wollte schreien, doch sie brachte keinen Ton heraus. Ihr Wimmern verstummte, aber still wurde es dadurch nicht. Jemand keuchte. Direkt neben ihr.
Sie fuhr herum. Das Handy entglitt ihren Fingern und zerschellte zwischen Beton und Scherben, die Lampe erlosch.
Es war kein Licht nötig, um ihren Verfolger sehen zu können. Seine Augen glühten rot, aber das war es nicht länger, was ihr Angst einjagte. Dafür sorgte der Mund, der quer über das breite, schwarze Gesicht aufklaffte, gespickt mit mehreren Reihen spitzer Zähne.
„Hallo, SexyWitch“, keuchte der Schatten. Dann grub er seine Zähne in ihren Hals.