Die Berufsrisiken des Autors (Teil 2)

Ein entspannender Job, das Schreiben? Wo man einfach alles rauslassen kann, sich um nichts scheren muss? Mitnichten! Wenn ihr einem entspannten Autoren begegnet, dann liegt das vermutlich daran, dass er gerade wieder einmal seine Deadline erfolgreich nach hinten verschoben hat. Aber abgesehen von den Anforderungen, die jeder Job als Selbständiger mit sich bringt, verbergen sich im Autorendasein noch ganz eigene “Gefahren”. Deshalb gibt’s diese Woche wie versprochen neue Einsichten in die Risiken und Nebenwirkungen des Schreibberufes.

Du wirst Bücher nie wieder mit denselben Augen sehen

Womit wir uns tagtäglich befassen, verändert uns. Unsere Wahrnehmung und unsere Beurteilung der Dinge, die wir kennen. Das musste ich letztens feststellen, als ich meinen Autorenlebenslauf in vermeintlich hübsche Form gebracht habe und alle Testpersonen einstimmig für das in meinen Augen weniger strukturierte Layout gestimmt haben. Mein grafisches Auge hatte sich an die Maßstäbe der Agentur angepasst, für die ich tätig bin, weil es mir dort die Arbeit erleichtert. Aus dem Umfeld gerissen sieht es dann aber schon wieder ganz anders aus.

Noch viel deutlicher merke ich es beim Schreiben, und da bin ich bei Weitem nicht die Einzige. Gerade nach heftigen Korrekturphasen lässt sich der innere Lektor nicht einfach wieder abschalten. Besonders, wenn man fremde Texte korrigiert hat, möchte man den Rotstift auch bei fertigen Büchern gerne einfach weiterverwenden. Mein herzliches Beileid an dieser Stelle an alle Lektoren – denen muss es ja noch viel schlimmer ergehen!

Je intensiver man sich mit den Regeln für gutes Schreiben auseinandersetzt (und ja, die gibt es tatsächlich), desto häufiger stößt man auf Texte, in denen diese Regeln gebrochen werden: unmögliche Perspektiven, unglückliche Formulierungen, überflüssige Wörter, Logikfehler, Unglaubwürdiges und schlichtweg Falsches. Von Dingen, die man einfach ein wenig optimieren könnte, bis hin zu völligem Unfug findet man in so gut wie jedem Buch etwas. Weil wir alle nur Menschen sind – die Autoren, die Lektoren, die Redakteure, die Setzer … Und Menschen können eben Fehler machen.

Pro Jahr erscheinen allein im deutschsprachigen Raum gut 100.000 neue Bücher (Indie-Autoren nicht mitgezählt), Tendenz steigend. Bücher kommen immer schneller auf den Markt, Bücher werden übersetzt, ehe die Originalfassung fertig korrigiert sind. Es bleibt immer weniger Zeit für die einzelnen Schritte, und wo der Zeitdruck hoch ist, werden Fehler leichter übersehen und es bleibt nicht so viel Zeit, den Text von vornherein in eine runde Form zu bringen. Und bei anderen fallen einem Fehler immer leichter auf, auch wenn man selbst die gleichen macht. Weil man fremde Texte eben immer mit mehr Abstand liest als eigene.

Jedenfalls solltet ihr gewarnt sein: Ein zu kritisches Auge ruiniert dem Leser das beste Buch. Manchmal gibt der innere Lektor nach einiger Zeit wieder Ruhe, manchmal hüpft er unerwartet aus dem Gebüsch und schreit: “Hah, Bestiarium!” (Beim Bestiarium zischen, knurren und fauchen Menschen, was sich zwar immer nett liest, aber versucht das mal nachzuspielen.) Ganz wird man diese kritische Sicht auf tolle Bücher nie wieder los. Wer sich zu viel mit Sprache beschäftigt, wird nie wieder unvoreingenommen ein Buch lesen können.

Du wirst deine Freunde vergraulen

Wenn es deine rare Freizeit und dein endloses Lamentieren über Bücher, Texte, mangelnde grammatikalische Kenntnisse deiner Mitmenschen und deine Deadlines nicht schaffen, dann sei gewiss: deine Stimmungsschwankungen schaffen es.

Ich glaube es gibt wenige Berufe, die mit solchem Gefühlschaos verbunden sind wie das Schreiben. Die Verzweiflung, wenn die Ideen ausbleiben oder die Deadline schneller näher rückt, als man tippen kann. Die Reizbarkeit, wenn der Zeitdruck steigt und die Nerven blank liegen. Das Schimpfen auf eigene Charaktere, die partout nicht wollen, wie sie sollen. Die geistige Abwesenheit, wenn einem bei den seltsamsten Gelegenheiten Ideen für das Schreiben kommen. Das Leiden und Leben mit den eigenen Geschichten. Die absolute Gier nach Bestätigung (Stephen King berichtet, dass seine eigene Frau in solchen Fällen zu ihm sagt “Don’t be so needy!”) und die Trauer und Wut, wenn dann auch negatives Feedback kommt. Das endlose Zittern vom Drücken des “Senden”-Knopfes bis zur ersehnten oder gefürchteten Antwort (es lebe das zeitnahe Email-Zeitalter). Und anschließend wahlweise das Am-Boden-zerstört-Sein oder Vor-Freude-wahnsinnig-Werden, wenn sie dann kommt …

Falls sie jedoch trotz all dem noch zu euch halten, euer Geschreibsel sogar noch lesen und euch ihre ehrliche Meinung dazu geben – dann behandelt sie verdammt gut, sie haben es sich hart verdient.

Du wirst beim Gedanken an eine Bikini-Figur verzweifeln

Schreiben ist anstrengend. Es erfordert viel Denkarbeit, und das Gehirn in Gang zu halten braucht genauso viel Kalorien wie körperliche Arbeit. Unglücklicherweise verbraucht es diese nicht annähernd so gut. Letzten Endes sitzt man eben doch nur herum und schreibt. Wie in jedem Beruf, der einen an einen Computer bindet. Nur dass man (jedenfalls ich) bei normaler Büroarbeit selten dieselbe Art von Heißhunger-Attacken bekommt, unter der Schreiberlinge offensichtlich allesamt leiden. Dazu kommt, dass man bei all den Dingen, die man eigentlich tun sollte, nur zu gerne auf so scheinbar unnütze Dinge wie Sport verzichtet. Schließlich ruft die Deadline, Recherche sollte man auch betreiben, und da war doch noch … Freizeit ist eben rar, und da man beim Sport nicht schreiben kann, zählt es eindeutig zu Freizeit.

Das erste Schreibcamp, an dem ich teilgenommen habe, endete mit den Worten: “So, nach der Woche habt ihr jetzt sicher zwei Kilo mehr.” War eine Lüge. Bei mir waren es drei. Kein Wunder, so gut wie wir uns neben den geregelten Mahlzeiten noch zusätzlich mit Süßkram versorgt haben. “Aber macht euch nichts draus, das muss so sein, das geht allen so.” Na dann. 

Tatsache ist: Jeder hat seine kleinen Hilfsmittel, um sich über den Tag zu schreiben. Für die meisten von uns sind das Koffein und Kalorien. Andere bedienen sich der Hilfe von Zigaretten oder Alkohol, um die Konzentration zu erhöhen – aber sicher nicht halb so viele, wie Film und Fernsehen uns glauben machen wollen. Ein schokofutternder Autor macht sich eben nicht so gut wie einer, der morgens mit dem Scotch-Glas an der Tastatur sitzt. Meine persönliche Erfahrung ist: Alkohol bringt vielleicht die Kreativität in Schwung, aber er trübt die Konzentration und schwächt die Motivation, tatsächlich fertig zu schreiben. Und müde macht er auch. Aber da muss wohl jeder seinen eigenen Weg finden. Nur seien wir ehrlich: gesund und sportlich wird vermutlich keiner davon sein.

 

Das war Teil 2, einen dritten Beitrag wird’s noch geben zu folgenden Themen:

  • Du wirst keine Kunst erschaffen
  • Du wirst deine Probleme niemandem begreiflich machen können