Dass Männer und Frauen nicht völlig gleich ticken, ist evolutionstechnisch gesehen logisch und leicht zu erklären. Die männlichen Jäger, die nur dank schneller Reaktionen überlebten, mussten auf andere Instinkte vertrauen als die Frauen, die durch Kinder mehr auf den Schutz der Gruppe angewiesen waren und das soziale Gefüge nutzten. Auch wenn ich natürlich der Meinung bin, dass Männer und Frauen gleichberechtigte Individuen sind, die ihre Stärken durchaus auch in “gegengeschlechtlichen” Aufgaben finden können, glaube ich an diese Einflüsse der Evolution.
Männlein und Weiblein sind nicht gleich – sonst wären sie androgyne Hermaphroditen oder würden sich durch Zellteilung vermehren. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass eine meiner eigenen Geschichten diese Rollenbilder einmal derart eindeutig zum Ausbruch bringt.
Eines meiner aktuellen Projekte ist mein Schreib-Experiment – eine Kurzgeschichte, im Drama-Genre angesiedelt. So weit, so gut. Der Inhalt scheint es jedoch ganz schön in sich zu haben.
Erst war es nur ein Ausreißer – einer meiner Testleser konnte mit dem Text so gar nichts anfangen, was mich verwundert hat. Gut, es war nicht sein Lieblingsgenre und die Handlung hat ihn persönlich nicht so sehr gereizt. Aber all das, was die anderen Tester positiv angemerkt hatten, ging für ihn einfach gar nicht. Die Erzählperspektive, die handelnde Figur, alles furchtbar. Ich war ziemlich fassungslos. Normalerweise ist dieser Tester sehr kritisch, aber immer von meinen Texten überzeugt. Irgendwas lief eindeutig falsch.
Nachdem ich also irgendwann ein “Aber die anderen finden es doch gut …” verlauten lassen habe, kam die unerwartete Gegenfrage: “Ist denn unter den anderen Testlesern noch ein Mann?” – Nein, tatsächlich hatte die Testgruppe aus drei Frauen und einem Kerl bestanden. Ein zweiter männlicher Kandidat war schnell gefunden, und auch er bemäkelte dieselben Punkte wie Tester Nummer 1. Erstaunlich.
Die Testgruppe wurde noch einmal erweitert, das Ergebnis blieb dasselbe: Frauen fühlten sich von der Geschichte angesprochen, konnten sich gut in die Figur einfühlen und fanden, sie könnte vielleicht noch ein wenig negativer verlaufen. Die Männer dagegen waren von der Figur frustriert, hineinfühlen wollten sie sich auf keinen Fall und überhaupt war ihnen das Ganze zu negativ. Mittlerweile kursierte in der Testgruppe die Vermutung, die Männer würden sich unbewusst von der Geschichte beschuldigt fühlen – und da waren sich die beiden Geschlechter sogar einig.
Ich hätte nie gedacht, dass eine mit den besten Absichten geschriebene Geschichte derart polarisieren würde. Dass manchen etwas zu “grauslich” oder vom Genre her nicht so gefällig war, hatte ich ja schon öfters gehört. Aber diese Reaktion war mir neu.
Also noch mal ran an die Tasten, um die Wogen ein wenig zu glätten. Mittlerweile fällt das Urteil der Männer ein wenig gnädiger aus. Das Grummeln wird aber wohl bleiben. Dabei wird im gesamten Text niemals unterstellt, es wäre ein Mann der Schuldige. Auch das ist nur ein Rollenbild, das automatisch aus der gesellschaftlichen Schublade gekramt wird.
Fazit: Wirklich ein interessantes Schreib-Experiment, in jeder Hinsicht.