Von Geschichten verschluckt

Manche Geschichten lassen den Leser einfach nicht mehr los, ob es nun große literarische Werke sind oder kleine Stories für zwischendurch. Mit der packenden Welt, die sie erschaffen, den Gedanken, die sie im Leser wecken, oder ihrer fesselnden Art zu erzählen bringen sie uns dazu, die Realität eine Zeit lang hinter uns zu lassen. Und manchmal sogar mehr als das.

Natürlich kann man auch von anderen Dingen gefangen werden (Melodien und Satzfragmente wären auch ein Beispiel), vor allem sind es aber die Geschichten, die uns so gänzlich in ihre Welten fallen lassen.

Wer hat noch nie ein ganzes Wochenende damit verbracht, hinter dem Mörder oder der großen Liebe her zu hetzen? Eingemummelt auf der Couch, im Sonnenschein unter einem Baum, auf einer langen Busfahrt … mit einem spannenden Buch verfliegt die Zeit wie nichts. Teilweise auch unbeabsichtigt, wenn man eigentlich andere Pläne hätte, aber den Kopf einfach viel zu voll hat mit den Problemen und Aufgaben der Charaktere, um mit dem Lesen aufzuhören.

Ich war schon einmal einen ganzen Tag lang unrund, weil ich überzeugt war, dass ich doch etwas Dringendes hätte tun müssen – bis mir klar geworden ist, dass das Dringlichkeitsgefühl gar nicht von mir ausgegangen ist. Es war nur ein Nachhall des Hörbuchs, das mich auf der Autofahrt berieselt hatte. Auch von meinen Lesern habe ich zum Teil schon gehört, dass sie (meine) Geschichten nur einzeln verkraften, weil sie immer ein paar Tage benötigen, um alle Gedanken abzuschließen, die davon aufgewirbelt wurden. Es scheint sich also um eine Volkskrankheit zu handeln.

Der Leser, der sich nun übervorteilt fühlt, sei allerdings getröstet: auch Autoren “leiden” darunter. Wenn man die U-Bahn-Fahrt damit verbringt, mit seinen Charakteren zu diskutieren, oder sich überlegt, dass irgendetwas doch gar nicht möglich ist, weil man gedanklich einfach noch in einer anderen Welt festhängt, könnte man das durchaus als Nebenwirkung des Schreibens bezeichnen. Während des Entstehungsprozesses von manchen Stories oder Szenen haben sich bei mir sogar schon Alpträume eingestellt … Aber die können dann ja wieder für die nächsten Geschichten als Inspiration herhalten.

Insgesamt ist das kurzfristige Vergessen der Wirklichkeit jedoch genau, was man sich von einer guten Lektüre eigentlich erhofft. Kleine Gedankenfallen nimmt man dafür doch gerne in Kauf. Von daher: holt euch euren Lesestoff vom Buchhändler eures Vertrauens. Zu Risiken und Nebenwirkungen wendet euch an den Schreiberling eures Vertrauens.

Dem geht es nicht besser.